Puhhhh! Teil 2 – Oder der Tag des Kaninchen

Wie schon im Teil 1 angekündigt, legen wir hier am nächsten Tag nochmal eine Schippe drauf.
Damit ich dem Tagesprogramm etwas entgegenzusetzen habe, versuchte ich mein Frühstück so reichhaltig zu halten, wie es mir nur möglich war.

Erster Strich durch meine Rechnung war der enge Zeitplan, der es mir schwierig machte die nötige Zeit dafür aufzubringen.
Zweiter erschwerender Grund für die erfolgreiche Durchführung meines Plans war die Ansage, dass ich zu viel Wasser eingelagert habe und dieses folglich auch schnell wieder raus muss.
Also gab es als Gruß aus der Küche eine Ladung Lasix, was mich quasi ununterbrochen vom Frühstückstisch aufspringen ließ um das Wasser wieder loszuwerden.
Hey, das ist Stress pur!

Das mit dem Wasser ist eh eine sehr interessante Sache.
Zum einen möchte man natürlich den Wirkstoff der Chemo gut im Körper verteilen um seine volle Wirkung entfalten zu lassen, zum Anderen möchte man das Zeug aber auch so schnell wie möglich wieder herausbekommen. Ihr merkt, das ist ein Teufelskreis.
So waren es am Vortag schon 5 Liter reine Infusion (Wässerung) um den Wasserkreislauf auf Hochturen zu bringen.

Heute Standen also 6 Liter auf dem Programm. So musste man natürlich ein paar Resoucen des Speicher wieder frei machen, damit der restliche Tag entsprechend planmäßig verlaufen kann.

Letztendlich bekam ich dann relativ schnell die Chemo, welche im schon vom Vortag kannte, verabreicht, da der darauffolgende Part deutlich mehr Zeit benötigte.

Die Stunde der Kaninchen war gekommen!
Ja, Ihr habt richtig gelesen „Kaninchen“.

Als Haupttherapie seht ein Mittel auf dem Plan, das aus Antikörpern von Kaninchen gewonnen wird. Diese Antikörper haben die Eigenschaft T-Lymphozyten eines Menschen zu zerstören.

Nötig ist dies um dem neuen Immunsystem den Weg zu bereiten.
Das ist ein relativer Drahtseilakt, weil man natürlich vermeiden will, dass das noch aktive Immunsystem zu sehr geschwächt wird.
Nun ist es leider so, dass ein solcher Angriff von fremden Antikörpern, gewollt oder nicht, vom eigenen Organismus mit allen mitteln bekämpft werden würde.
Durch die vorherigen Behandlungen ist der Körper diesbezüglich zwar schon etwas angetriggert, funktioniert mit seinen Abwehrverhalten noch wunderbar.
Natürliche Reaktionen sind hier Fieber, Schüttelfrost, Herzrhythmusstörungen, Ausschlage, usw.
Eben alles was der Körper so aufbringen kann.

Hier kommt etwas ins Spiel, dass ich zum „Glück“, im Vorfeld schon kennengelernt habe.
Fenestil. Viele werden das aus der Apotheke kennen. Es hilft aber nicht nur gegen lästige Mückenstiche. In der richtigen Dosis, direkt dem Körper zugeführt, sorgt es dafür, dass er sich nicht mehr so leicht stressen lässt. Die Nebenwirkung… wer hätte es gedacht, Müdigkeit.
So gesehen wird man damit Matt gesetzt. Ein kleiner Preis in Anbetracht der alternativen Reaktionen.

Niemand weiß 100% genau, was alles passiert, wenn man diesen Kaninchen Antikörper bekommt.
Deshalb werden bei der ersten Gabe einige Notfallvorkehrungen getroffen.
Ein Tablett mit vielen Hilfsmitteln, zu denen auch Adrenalin gehören, wird bereitgestellt.
Zusätzlich sind in den ersten kritischen 20 Minuten ein Intensiv-Notfall Mediziner und eine erfahrene Schwester anwesend um sofort auf alles reagieren zu können. Zusätzlich hängt man dann natürlich auch an einem Gerät zur Überwachung der Herzkreislauftätigkeit.
Das macht schon ein mulmiges Gefühl!
In diesem Fall ist es schön, wenn man an diesem Tag eine Schwester auf dem Zimmer hat, welche aus Ihrer zwanzigjährigen Erfahrung sagen kann: „Wissens, solange ich das jetzt schon mache, ist noch nie etwas wirklich schief gelaufen! Machen sie sich keine Sorgen.“
Außerdem hatte ich ja noch etwas mehr Sicherheit mit Ärmel. Durch meine Frau bin ich nach und nach dem Thema Kaninchen näher gekommen. Als Leidenschaftliche Häschenliebhaberin kam es natürlich dazu, das wir jetzt mittlerweile vier von diesen possierlichen Tierchen im Garten haben. Da ich hier bis Dato nicht im geringsten auch nur irgendeine allergische Reaktion hatte, war die Chance, gut mit der Behandlung zurecht zu kommen, also schon ein Stück realistischer. – Und so war es auch!

Das es Problemlos lief ist allerdings auch nur die eine Seite der Medaille.
Aus gründen der Sicherheit läuft diese Infusion satte acht Stunden.
Das was der Körper dabei zu leisten hat hinterlässt seine Spuren. Hatte ich am Tag zuvor noch ein wenig Energie für gelegentliche Gespräche mit Schwestern und Ärzten, war diese nun gänzlich auf einem anderen Fokus.
Die Stunden verschwinden wie im Nichts. Hatte man gerade noch das Ansinnen für 20 Minuten zu dösen sind auch schon vier Stunden vergangen. Gerade war es noch hell und schon ist es dunkel.
In Ermangelung auch nur ans Essen zu denken kam dann später etwas Helligkeit in mein Gemüt, die Lebensgeister regten sich sehr langsam wieder und der unweigerliche Wille etwas zu essen war wieder da.
Leider war mein Körper auf die Aufnahme von Essen noch nicht so wirklich erpicht.
Also mit viel Willen, Happen für Happen ging dann zwar etwas in mich hinein und ich war auch für das erste satt.
Die Rechnung bekam ich dann später. Tief in der Nacht… eine Erschütterung, ein Grollen, ein Gewitter? Nein, mein Hunger war unweigerlich wiedergekommen.
Keine Lust auf irgendetwas Herzhaftes, Ernährungsdrings, hatte ich auf einmal einen goldenen Schimmer erblickt. Zwei Tüten Gummibärchen lockten mich sie endlich zu öffnen. Genau das was ich gesucht habe. JUNKFOOD! SÜßES! Es war ein Fest! Dank dieses Mitternachtssnack kam der Tag doch noch zu einem versöhnlichen Ende. (Danke nochmal an Janett und Timo. Ohne euch hätte es dieses Festmahl nicht gegeben.)
Also nicht das jetzt jemand glaubt, man würde mich hier verhungern lassen… NIE!
Aber manchmal braucht man einfach was anderes.

So ging ein Tag vorbei, von dem ich eigentlich nur kurze Episoden mitbekommen habe. Die Schwestern überwachten engmaschig meinen Gesundheitszustand, den ein oder anderen Besuch derer hab ich mit Sicherheit nicht mitbekommen.
Verpasst habe ich nichts und das ist in diesem Fall auch sehr gut so!
Alles lief glatt nach Plan. Was will man mehr!?

So long… Patrick

Das ist übrigens ein Teil vom Notfallset für den vermeintlichen Kaninchen Schock.