Level UP

Tja, was soll ich sagen? Ein exzellent geführtes Haus mit allen Vorzügen! Welcher Gast kann da schon Nein sagen?
Meine neuen Zellen auf jeden Fall nicht!
Seit dem letzten Eintrag stieg die Zahl der Leukozyten stetig. Meist tatsächlich im Faktor zwei.
Damit habe ich jetzt nicht wirklich gerechnet.
Eines Tages kamen dann auch noch die heiß ersehnten Thrombozyten hinzu.
Ja, meinen Gästen gefällt es wirklich gut hier.

Langsam nahm die neue Polizei in meinem Körper auch Ihre ersten Aufgaben war und half, die Entzündung in meinem Mund zu heilen.
Das schöne daran ist, daß es mir dadurch deutlich leichter viel etwas zu essen. Gut der Appetit war noch nicht wieder ganz der Alte. Tag für Tag wurde es aber besser.
Als Zuckerl habe ich dann noch einen Anreiz bekommen, mein Essverhalten zu verbessern.
Meine Ärztin meinte – „Wenn Sie wieder in der Lage sind genug zu Essen, können wir die Dosis an künstlich zugeführter Nahrung drosseln. Haben Sie dieses Ziel einmal erreicht, dann ist ein großer Schritt getan.“
Ich arbeitete daran und nach den ersten Drosselungen kam immer mehr Appetit hinzu.
Natürlich hatte ich noch eine physikalische Grenze, welche mir mein Magen vorgab. Immerhin hat er in den letzten Wochen immer weniger zu tun bekommen. Da kann man natürlich nicht erwarten, daß er gleich wieder voll einsatzfähig ist.

Jeden Tag merkt man, wie wieder mehr Energie vorhanden ist. Ich rede jetzt nicht von riesen Sprüngen, immerhin groß genug, dass man sie bemerkt. Langsam bekam ich auch wieder Lust auf mehr Bewegung. Das Fahrrad wird jetzt wieder jeden Abend genutzt. Immerhin 20 min. Man hatte mich gewarnt, gleich wieder voll loszulegen. Das kann schnell nach Hinten losgehen. Ich bin also brav und hielt mich dran.

Eines Tages war es soweit. Die Thrombozyten, wichtig für die Blutgerinnung, wurden durch die neuen Zellen produziert. Bis dahin war ich darauf angewiesen, dass der min. Spiegel durch Transfusionen aufrecht erhalten wurde. Gleiches galt auch für die roten Blutkörperchen, diese werden allerdings nicht derart verbraucht, wie es bei Thrombos der Fall ist.
Einen Tag später, war die Wert derart gut, dass ich vorsichtig fragte, ob es jetzt wieder möglich sei eine Zahnbürste zu benutzen. Ja Ihr habt richtig gehört. In der Zeit, in die Mundschleimhaut entzündet war, war auch die Thrombozyten Zahl sehr gering. Der Versuch sich unter diesen Bedingungen die Zähne zu Putz, endet meist mit Zahnfleischbluten, welches so schnell nicht wieder aufhört. Des Weiteren wird dadurch dann auch noch ein Portal für all die Bakterien und Keime, die natürlich in unserem Mund Leben, geöffnet. Das endet dann relativ schnell in einer Infektion, was natürlich zu vermeiden ist.
Tja… was habe ich denn dann überhaupt in Sachen Zahnpflege gemacht? Man bekommt für diesen Fall eine Art Ersatz Zahnbürste Light. Das ganze sieht dann aus wie ein Lolly, an dessen Ende ein geriffelter Schwamm steckt. Mit diesem sehr weichen Konstrukt kann man dann notdürftig etwas Zahlpflege betreiben. Effektiv ist was anderes! Zusätzlich hat man natürlich ein paar Mundspülungen, welche man mehrmals am Tag macht, um das Gleichgewicht im Mund wieder herzustellen.
Nun die Antwort auf meine Frage lautete: „Ja, klar!“
Fünf Minuten später stand ich im Bad und habe voller Genuss einer der vielen Einwegzahnbürsten mit extra weichen Borsten genutzt um mir endlich mal wieder „richtig“ die Zähne zu putzen.
Es war eine helle Freude. Manchmal sind es die kleinen Dinge des Lebens, die einem den Tag versüßen.

Einen Tag zuvor hatte ich etwas in Aussicht gestellt bekommen, mit dem ich erst ein paar Wochen später gerechnet hätte.
„Herr Elsing, wenn sich Ihre Werte und Ihr Körper sich weiterhin in diesem Tempo erholen, könnten wir sie evtl. nächste Woche nach Bad Abbach in unsere KMT Außenstelle in der Asklepios Klinik verlegen.“
Ja, das war mehr als nur eine Überraschung. Ich war echt baff und auch ein wenig ungläubig.
Nachdem 2 Stunden später ein ähnlicher Satz vom Professor selbst noch einmal kam, wurde es mir langsam aber sicher etwas mulmig. Das ging mir jetzt zu schnell. Außerdem hatte ich mir angewöhnt, solche Aussagen immer erst dann für voll zu nehmen, wenn sie konkret wurden. Das ist ein Schutzmechanismus, der mich davor schützen soll zu enttäuscht zu sein, wenn es dann doch nicht eintritt.

Ich wartete also ab. Jeden Tag ließ ich mir jetzt die Laborauswertung ausdrucken und verfolgte gespannt den Verlauf. Mittwoch war es dann soweit. Der Tag der Wahrheit!
Ich saß gerade beim Frühstück, als meine Ärztin das Zimmer betrat. Für gewöhnlich kommt sie um diese Zeit zur Visite vorbei. Dieses mal stellte sie sich einfach neben mich und begann das Gespräch ein wenig anders als sonst. „Ich habe zwei gute Nachrichten für Sie. Erstens, Sie sind im Moment der zweit fitteste Patient hier auf Station. Zweitens, Ihr derzeitiger Status ist wirklich sehr gut und wird den Prognosen von letzter Woche sehr gerecht. Was halten Sie davon, wenn wir Sie morgen nach Bad Abbach schicken. Ich hätte auch schon ein Bett für Sie.“ – Alter Schwede… Ja klar! Wann geht‘s los?

Es war zum verrückt werden. Es wurde wirklich ernst und das nach nicht ganz vier Wochen. Ich konnte es kaum glauben.
Beim nachfolgenden Check-up konnte auch nichts gefunden werden, dass dem Umzug noch im Wege stehen sollte. Als letzte Gewissheit stand für 5 Uhr Früh noch ein Bluttest und ein erneuter Check-up an. Alles war im grünen Bereich! YEE-HAW!!!!!

Okay… jetzt wurde mich dann doch etwas blümerant. Was für eine gute Nachricht.
Etwas später kam dann noch eine Schwester herein und Fragte mich, ab wann ich denn soweit seit, damit Sie den Krankentransport organisieren kann. Ich rechnete etwas nach und meinte nur, in eineinhalb Stunden kann ich Abreise bereit sein. „Gut, also um 10.30 Uhr. Kann aber gut sein, dass die sich um eine halbe Stunde verspäten.“

Also schnell noch den letzten Happen essen und dann nichts wie ins Bad, was ja erfahrungsgemäß etwas länger dauert.“
Kaum war ich fertig, ich war gut in der Zeit, stand meine Psycho-Onkologin im Zimmer.
Damit hatte ich natürlich nicht mehr gerechnet. Bei diesem Gespräch ging es in erster Linie um die Zeit in Bad Abbach und um die Zeit zu Hause. Es war ungeheuer Aufschlussreich und ich konnte viele Tipps mitnehmen.
Leider hat mir dieses Gespräch tatsächlich einen Strich durch meinen Zeitplan gemacht. „Okay, du hast noch 13 Minuten. Jetzt aber los!“
In Windeseile packte ich alles zusammen und um 10.34 Uhr war ich fertig. Schon stand der Transportdienst bereit. Das war knapp.

Da ich ja zum Glück gut zu Fuß bin, wurde die mitgebrachte Liege gleich zum Gepäckwagen umfunktioniert. Wir mussten einmal durch das halbe Klinikum. Nach vier Wochen in einem Zimmer war selbst in diesen Gängen und Innenhöfen die Weite kaum zu fassen. Ein wenig verloren trottete ich den Sanitätern mit der Liege hinterher. Offensichtlich sehr langsam unterwegs, eilte der Eine mit dem Gepäck schon mal voraus.
Kaum angekommen wurde ich auch noch „verladen“ und schon ging es los. Ich muss ein sehr langweiliger Mitfahrer gewesen sein, aber ich konnte nicht umher als die ganze Zeit aus dem Fenster zu blicken und alles aufzusaugen und war es noch so banal.

Da waren wir also, Bad Abbach. Das Asklepios Gebäude liegt direkt an einem Park, so viel Grün habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Aber es ging weiter zu meinem neuen Zimmer.
Vom Charakter her erinnert hier nicht mehr all zu viel an ein Krankenzimmer. Gut das Zimmer ist nicht riesig, aber wohnlicher eingerichtet als mein altes Zimmer.
Die waren Highlights sind indes andere. Warum freut sich jeder KMT Patient derart auf diese Zwischenstation? Nun zum einen ist es ein Indiz für den guten Verlauf der Therapie.
Zum Anderen gibt es hier sehr viel mehr Freiheiten als zuvor im Uniklinikum.
Man hat eine DUSCHE! Ja, nix mehr Waschlappen Wäsche. Einfach mal Duschen!
Das Zimmer hat einen eigenen BALKON direkt zum Park hin. Die FENSTER können so lange geöffnet bleiben wie man möchte. Das ESSEN ist deutlich besser. Man kann endlich wieder TEE trinken. Uuuuuuund, da ich mittlerweile sehr gute Werte habe kann ich in den Park gehen! Wenn ich weit genug vom Haus entfernt und keine Menschenmassen unterwegs sind oder gar gemäht wird kann ich meinen Mundschutz ablegen. Normalerweise muss ich den, sobald ich das Zimmer verlasse tragen. Dort kann sogar dieser weg.
Absoluter Wahnsinn!

Die erste Nacht war natürlich etwas gewöhnungsbedürftig. Neue Gerüche, Geräusche und die Tatsache, dass das Fenster offen bleibt. Ich wurde zur Abwechslung mal nicht von einer Schwester geweckt, sondern vom Gezwitscher der Vögel.
Die Abläufe sind hier tatsächlich fast Identisch, bis auf die Tatsache, daß nicht so oft nach mir gesehen wird. Was nicht wirklich weiter schlimm ist.
Erster wichtiger Punkt war die Arzt Visite. Ich hatte mich am Vortag schon sehr gefreut, einen alten Bekannten wiederzuerkennen. Mein Behandelnder Arzt ist Derjenige, welcher auch mein erster Behandelnder Arzt im Uniklinikum war. Er hat mich die erste schwere Zeit hin betreut. Ein wirklich sehr netter Kerl.
Dann kam ein von mir schon sehnsüchtig erwarteter Punkt… Die erste Dusche nach vier Wochen.
Es ist kaum in Worte zu fassen, wie sich das anfühlt. UNGLAUBLICH TOLL!!!
Puh und dann musste ich mich auch schon wieder beeilen. Mein Termin mit der Physiotherapeutin stand an. Nach einer kleinen Einweisung in den Trainingsraum kam noch ein kleiner Check der motorischen Fähigkeiten. Tja und dann kam die Frage ob ich Lust hätte einen Spaziergang durch den Park zu machen. OMG! „Nichts wie raus hier!“
Nach ca. 200 Metern meinte die nette Dame, ob ich vielleicht mal die Schutzmaske absetzen möchte. Ich muss gestehen, hier habe ich kurz gezögert. Nicht nur das ich unter freien Himmel wandelte, nein jetzt auch noch vollkommen frei. „Es wird mich schon nicht gleich umbringen.“ – dachte ich so bei mir.
Also weg mit dem Ding! Was folgte war eine Geruchsexplosion sondergleichen. Warme, süße Luft. Man glaubt gar nicht wie schön das ist. Einfach draußen stehen und frische Sommerluft einsaugen. Das werde ich so schnell nicht wieder vergessen.
Wir gingen noch eine kleine Runde und dann ging es auch schon wieder zurück. Ich merke deutlich, wie sehr mein Körper damit zu kämpfen hat. So weit bin ich seit Wochen nicht gegangen… gut, wie auch auf gefühlt 20 m².

Tja was soll ich sagen? Das „normale“ Leben ist ein Stück näher gerückt. Wenn nichts mehr dazwischen kommt und mich weiterhin so gut erhole, dann bin ich hier in ein bis zwei Wochen fertig.
Das nächste Level wäre erreicht. Dann geht es zurück nach Hause. Das denke ich mir aber nur ganz leise… denn glauben kann ich das Ganze jetzt noch nicht so wirklich.

So long… Patrick